Koffergedanken - Grenzüberschreiter
Winter 2019, am Anfang, am Meer

 

Mit Koffer den Weg entlang, vom Weg ab, dem Meer entgegen und dort,
wo sich Land und Meer begegnen, wo jeder Weg endet und anfängt,
dort nehme ich die Zeit zurück, binde Anfänge und Enden lose aneinander und meinen Koffer, meinen Koffer trage ich, wie meine Geschichte,
wie die Geschichte meiner Mutter, ihrer Mutter, der Mutter ihrer Mutter,
derer Mutter und aller meiner Mütter vor ihr, aller Mütter, aller Frauen.

Im Koffer sind sie, die Rufe, die Gesten, das Schwere und das Leichte.
Sie finden alle Platz im Koffer.

 

Wiederholt sich Geschichte wieder und wieder?
Bleibt Frau für alle Zeit das gejagte Wesen?
Wie eine Jägerin lege ich allen Ballast ab und mit Koffer suche ich den Weg, vom Weg ab, jenseits der festgetrampelten Pfade,
den auf ihnen getrampelten Spuren,
zertrampelte Geschichten sind es auch.

Eine Wandernde.
Ich lege meine Frau mit in den Koffer und es
wird gleich leichter in mir, befreit vom Konstrukt.Die Kälte ist willkommen, weil sie Körperlichkeit spüren lässt,ein Körper neutral,
wie jedes andere Leben; es ist befreiend.

Die Kälte, wie sie sich auf mich legt und Wärme als Gegenpol erzeugt.
Die eine Seite und die andere Seite.

 

Ich erinnere mich an eine Frau, die in ihrem Leben schon die kleinste Reise als Hindernis ansah. Sie kam aus einer Generation der Vertriebenen
und Getriebenen, mit denen getrieben wurde und die ein Leben lang trieben in möglichst kleinsten Räumen, damit die Arme anstoßen können am Festen, damit die Füße ihre Spuren auf sorgfältig abgedecktem Boden nichts von Flucht verraten und doch jeden Schritt blind erinnern können.

Der Koffer. Er war Gegenstand, der ein ganzes Leben festhielt,zusammenhaltend.
Ein Symbol.
Wie schmerzhaft muss es gewesen sein,wenn der Koffer
einem genommen wurde und wie schwer 
hatten sie zu tragen.

 

Wie kam ich jetzt darauf, von der anderen Frau zu erzählen und dann gleich von noch mehr Frauen. Ach ja, ich trage den Koffer.

Sie sind ja alle da, mit mir gereist ans Meer, um in Kälte,
Wärme zu spüren.
Wie leicht der Koffer ist.
Wie leicht es ist zu gehen.
Wie leicht ein Blick über das Meer einen macht.
Ich könnte in das Meer hinein. Von dort komme ich doch.
Würde es mich nicht willkommen heißen und erkennen?

Ein Ort des Lebens und des Sterbens, gerade so, wie dieser hier, gerade so wie überall, im kleinsten Raum, in größter Weite.

 

Jemand erzählte mir von Weite, von weiten Zielen, von weit entfernten Orten. Noch mehr Orte. Wo mir dieser schon fremd ist von Zeit zu Zeit,
aber 
Weite ist doch nicht Fremde und weiter möchte ich gehen.
Weite ist nur einen Schritt entfernt, nur ein Heben der Augen,
nur ein fliegender Gedanke.
Fremde ist nicht immer Fremde im Anderen.
Sie ist so dicht zu finden, dass sie uns das Herz zuschnüren kann.

 

Kälte schleicht nicht in Glieder. 
Sie hat es nicht nötig zu schleichen. Sie gebietet Eintritt. 
In mich geht sie einfach hinein, so wie ich einfach am Meeresrand entlang gehe.
Sie belegt meine Finger mit Schmerz, der mir scheint,als würden meine Außengrenzen aufgezeigt, so als wären meine Finger Grenzübertreter und hingen am Stacheldraht fest.
Ich möchte sie in den Mund stecken, 
um sie wieder heim zu holen, zurückzuführen.
Der Rest meines Körpers ist wie betäubt und ich denke an das Wort Fremde. Mein Körper, mit Überleben beschäftigt, hat sich einen Moment losgesagt von mir. Streiche ich mit den Händen über mich, 
bin ich mir unvertraut. Fremd.

 

Ich zähle die Minuten, weil ich mir ein Maß gegeben habe,wie lange es auszuhalten ist.
Als könnte es im Vorfeld vermessen werden,was kommt,
wie es sich anfühlt.

Wie verrückt es scheint, wenn man inmitten der Sache ist,
einer Ansammlung von Sekunden, der Takt von Kamera gegeben.
In Gedanken bin ich immer schon weiter, zurück im Koffer, dort,
wo inmitten alle Frauen meine Kleidung ist.
Ich kann fast an gar nichts anderes mehr denken.
Es fällt mir schwer, meinem Plan zu folgen und eigentlich möchte ich mich hinsetzen, mich klein machen.

Die Finger sind so verkrampft und pochend vor Schmerz, dass ich nicht ganz glauben kann, sie werden die Kraft haben,
mich wieder zu bedecken, mich von außen zu wärmen.
In mir ist es heiß.

 

Grenzüberschreiter,
sind wir.

 


Woman with case_lameer
Danit – Bildhauerin
2019

Texte zu der Serie _ woman with case


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